Forschungsprojekte
Exilische Vernetzungen – Praktiken und Ästhetiken des Transnationalen im postrevolutionären Mexiko der 1920er bis 1940er Jahre
[Anbahnung einer internationalen Forschungskooperation; DFG-gefördert]
Die Anbahnung einer Kooperation zwischen einer Gruppe von deutschen Forscherinnen und Forschern mit Kolleginnen und Kollegen aus Mexiko (Colmex und UNAM) soll dazu beitragen, ein gemeinsames Forschungsprojekt auszuloten, zu dem auf beiden Seiten Vorarbeiten existieren und das anschließend bilateral in kooperierenden Forschungsformaten weiterbearbeitet werden soll. Das geplante Dach-Projekt soll die Rolle von Exilant*innen aus Europa, Hispanoamerika und der Karibik in der besonderen Dynamik politischer und kultureller Neukonstitution im Mexiko der 1920er bis 1940er Jahre herausarbeiten. Es zielt auf die Untersuchung der vielfältigen Begegnungen und gemeinsamen Aktivitäten zwischen Exilant*innen verschiedener Herkunft und mexikanischen Künstler*innen, Intellektuellen und Schriftsteller*innen, die die postrevolutionäre Konsolidierungsphase unter der Präsidentschaft von Lázaro Cárdenas und Ávila Camacho als Chance für künstlerische Experimente und kulturelle Neuverortungen begriffen. Mexiko erscheint in dieser Zeit als ein Laboratorium für soziale und politische, aber auch ästhetische und künstlerische Erkundungen und Transferprozesse. Die Beschäftigung mit ihren spezifischen Ausprägungen und Dynamiken ist dabei nicht allein mit Blick auf historische Rekonstruktionen von Interesse, die erst durch neuere kulturtheoretische Perspektiven und Untersuchungsmethoden möglich werden, sie kann insgesamt zu Neuverständigungen über Begriffe wie Exil, diasporischer Raum, Transnationalität und kulturelles Netzwerk beitragen.
Die kulturellen und ästhetischen Dimensionen der Exile zu erkunden, impliziert eine Öffnung der Untersuchungsperspektive über die politische Agenda und die nationalen Rahmen, in denen Exilforschung bislang vor allem betrieben wurde, hinaus. Das Projekt ist interdisziplinär angelegt, indem es Vertreter*innen unterschiedlicher Literaturwissenschaften (Romanistik, Germanistik, Komparatistik), der Lateinamerikastudien und Nordamerikanistik, sowie der Kunst- und Musikwissenschaft zusammenbringt. So sollen auch Phänomene intermedialer Zusammenarbeit und Übertragung, die für den Untersuchungszeitraum charakteristisch sind, in den Blick kommen.
Wichtige Räume der Begegnung und kollaborativen künstlerischen Praxis sind u.a. (Exil-)Zeitschriften, die von exilischen und mexikanischen Akteuren gleichermaßen genutzt wurden. In der Anbahnungsphase soll im Austausch mit den Kolleg*innen beider Seiten, unterstützt durch Archivrecherchen, eruiert werden, welche Publikationsorgane in besonderer Weise als Plattformen transnationaler Vernetzung fungierten. Unterschiedliche Vorarbeiten und Expertisen in der (digitalen) Erschließung und Untersuchung lateinamerikanischer (Exil-)Zeitschriften sollen auf gemeinsamen Workshops vorstellt werden. Im beantragten Zeitraum (3-12/2020) sind zwei strategische Workshops sowie Gastaufenthalte und Archivreisen geplant, die zur Konturierung des Projekts und seiner Teilprojekte beitragen sollen.
P. Walter Jacobs Remigration nach Deutschland und seine Intendanz an den Städtischen Bühnen Dortmund 1950-1962 [abgeschlossen]
Nach seiner Rückkehr aus dem Exil leitete P. Walter Jacob von 1950 bis 1962 zunächst als Intendant, später als Generalintendant die Städtischen Bühnen Dortmund. Während Jacobs Leben und Leistungen vor 1933 sowie im Exil vergleichsweise breit und detailreich erforscht sind, wurden seine Remigration und die Dortmunder Intendanz noch nicht umfassend untersucht. Jacob, ursprünglich aus der Opernregie kommend, leitete im südamerikanischen Exil zehn Jahre lang die von ihm gegründete Freie Deutsche Bühne. Das Exil habe er stets als Interimsphase betrachtet, so Jacob in Briefen an Freunde nach 1945. Seine Zukunft sehe er in Deutschland, wo er sich aktiv am kulturellen Wiederaufbau beteiligen wolle. Eine Rückkehr ins deutsche Musiktheater war für Jacob als Angehöriger der „lost generation“ mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden (Frithjof Trapp). Dies wird auch an der geringen Zahl derer deutlich, die überhaupt eine Rückkehr wagten. Unter ihnen waren vor allem jene, die bereits vor dem Exil internationalen Rang und Ansehen erworben hatten, dass weder Exil noch Nachkriegssituation ihren beruflichen Status beeinträchtigen konnten, wie etwa im Falle Ernst Haeussermanns, Josef Gielens oder Erich Kleibers. Nach enormen Bemühungen gelang Jacob 1950 schließlich die Rückkehr ans deutsche Theater, nicht als Opernregisseur, jedoch als Intendant eines Großstadttheaters. Er stellt damit einen Ausnahmefall unter den vor 1933 noch nicht etablierten, remigrierten Theaterleuten dar.
Im Kontext der Remigrationsproblematik werden im Rahmen des Projekts die Umstände seiner Rückkehr, seine Leistungen beim Wiederaufbau des deutschen Theaters in Dortmund, die Herausforderungen kulturellen Engagements im von NS-Ideologie und Krieg nachhaltig belasteten Deutschland, die beruflichen und persönlichen Schwierigkeiten des Rückkehrers untersucht und näher beleuchtet.
Die Arbeit an diesem von der P. Walter Jacob-Stiftung geförderten Projekt wurde 2008 aufgenommen. Daraus ging als erste Publikation der Aufsatz „Ärger im Revier: Paul Walter Jacobs Dortmunder Generalintendanz“ von Dr. Henrike Walter hervor, der 2011 in dem Sammelband Verfolgt und umstritten! Remigrierte Künstler im Nachkriegsdeutschland, hrsg. v. Michael Grisko und Henrike Walter, veröffentlicht wurde.
Seit Herbst 2011 wurde dieses Forschungsprojekt von der Literaturwissenschaftlerin Ildikó Felbinger und der Musikwissenschaftlerin Dr. Sophie Fetthauer gemeinsam bearbeitet. Die Ergebnisse der Studie wurden 2018 veröffentlicht.