Aktuelle Promotionsprojekte
Im fachlichen Zusammenhang mit der Forschungsstelle werden gegenwärtig die folgenden Dissertationsprojekte erarbeitet:
Jasmin Centner: „Journey of no return“? Narrative der Rückkehr im Kontext von Gewalt und Vertreibung im 20. und 21. Jahrhundert
Das Dissertationsprojekt hat zum Ziel, die narrative Verhandlung der Rückkehr, der eine gewaltvolle Vertreibung vorhergegangen ist, zu untersuchen. Ist der Beginn des Exils mit dem Übertritt einer Grenze noch leicht zu datieren, richtet sich mit der Analyse der Rückkehrbewegungen der Blick auf die Dauer des Exils. Insofern dieses mit einer physischen Rückkehr meist nicht beendet ist, werden Konstellationen des Nachlebens von Ausgrenzungs- und Gewalterfahrungen in den Blick gerückt, die sich nicht auf den Zeitraum 1933–1945 und die Nachkriegszeit beschränken lassen. Dieser Gedanke schlägt sich im Textkorpus nieder, das Literarisierungen der Rückkehr thematisch und zeitlich von unterschiedlichen Perspektiven aus befragt. Die Texte sind dabei zunächst innerhalb des Kontextes der nationalsozialistischen Vertreibungs- und Vernichtungspolitik situiert. Diesen werden dann vergleichend Texte aus dem späten 20. bzw. frühen 21. Jahrhundert gegenübergestellt. Auf diese Weise wird der Dialog zwischen historischen Rekursen und aktuellen Entwicklungen geöffnet und überzeitliche Narrative von Rückkehr werden aufgespürt.
Forschungsleitend ist dabei die Frage, ob und auf welche Weise das Theorem der Rückkehr tradierte Konzepte von Heimat, Zugehörigkeit, Nation und Identität entautomatisiert und neu verhandelt. Dabei wird auch eine womögliche Verschiebung zentraler Begriffe wie Exil, Emigration, Immigration und Remigration mitgedacht, deren eindeutige Definition von der Rückkehrbewegung unterlaufen wird.
Betreuung: Prof. Dr. Doerte Bischoff, Prof. Dr. Cornelia Zumbusch
Zuordnung/Förderung: Doktorandenkolleg Geisteswissenschaften
E-Mail: jasmin.centner@gmail.com( jasmin.centner"AT"gmail.com)
Linda Krenz-Dewe: (Fiktionale) Identitätskonstruktionen in deutschsprachigen Erzähltexten jüdischer Autorinnen der dritten Generation nach der Shoah
Das Promotionsprojekt analysiert aktuelle Texte junger jüdischer Autorinnen (Ramona Ambs, Vanessa F. Fogel, Olga Grjasnowa, Katja Petrowskaja, Julyia Rabinowich, Channah Trzebiner) in Bezug auf Aspekte und Schreibweisen der identitären Verortung, worin die Shoah als 'zentrales Erinnerungsereignis' einen übergeordneten Stellenwert einnimmt. Die Auseinandersetzung mit weiblicher und jüdischer Identität im deutschsprachigen, mehrheitlich nicht-jüdischen Kontext ist das zentrale Sujet der ausgewählten Erzählliteratur, was auf eine unsichere, auszuhandelnde Positionierung im gesellschaftlichen und auch literarischen Feld verweist. Die identitären Suchbewegungen verlaufen zwischen Selbstbe- und Fremdzuschreibungen sowie zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Zudem öffnet der postsowjetische Hintergrund einiger der Autorinnen die literarischen Identitätskonstruktionen in Richtung multipler transkultureller Zugehörigkeiten und Differenzen, was Fragen nach 'dem Jüdischsein' heute noch komplexer werden lässt.
Drei zentrale Gemeinsamkeiten, die zugleich Schwerpunkte der Analyse sind, weisen die Texte dennoch auf: a) die Erfahrung, eine - teils in mehrerlei Hinsicht - 'Andere' zu sein, ist die Grundlage der identitären Konstruktionen; b) das Gedächtnis der Shoah sowie Prozesse der Migration lassen die Texte identitätskonstitutive Topographien des Erinnerns entwerfen; c) der weibliche Körper ist nicht nur Ort vergeschlechtlichender Subjektivation, sondern auch Ort und Medium von (traumatischer) Erinnerung. Das mehrschrittige, diskursanalytisch, gedächtnistheoretisch und narratologisch perspektivierte Analyseverfahren folgt den vielfältigen Verweisungsstrukturen der Texte und zielt zugleich auf die Identifikation spezifischer erinnernder Schreibweisen - auch um diese im Verhältnis zur deutsch-jüdischen Literatur der ersten und zweiten Generation verorten zu können. 'Zwischenräume' der identitären Verortung in kultureller, sprachlicher und topographischer Hinsicht werden mithilfe des Bezugs auf Elemente der postkolonialen Literaturtheorie herausgearbeitet. Aufgrund der großen Nähe der Autorinnen-Biographien zu den textuellen Identitätskonstruktionen sind zudem Fragen der Autorschaft und Autofiktion von Relevanz für das Projekt, das sich in den Feldern der transkulturellen Germanistik als auch der kulturwissenschaftlich orientierten Jüdischen Studien verortet.
- Betreuung: Prof. Dr. Doerte Bischoff | Prof. Dr. Claudia Benthien
- Zuordnung/Förderung: Rosa-Luxemburg-Stiftung | Graduiertenkolleg Vergegenwärtigungen (assoziiert)
Sandra Narloch: Exil und Kosmopolitismus: Weltbürgerliche Narrative und kosmopolitische Perspektiven in literarischen Verhandlungen des Exils 1933-1945
Ein stetig wachsendes Interesse an transnationalen und transkulturellen Phänomenen hat dem Begriff des Kosmopolitismus im Zeitalter von Massenmigration und Globalisierung Disziplin übergreifend zu einer regelrechten Renaissance verholfen. Bereits seit Mitte der 1990er Jahre lassen sich vor allem in der angloamerikanischen Forschung zahlreiche Bemühungen verzeichnen, einen ,Neuen Kosmopolitismus‘ als methodologisches Paradigma für den Umgang mit kultureller Differenz zu etablieren. Obwohl das Exil in diesem Zusammenhang als geradezu „paradigmatischer Ort“ für die Ausbildung eines „kosmopolitischen Blicks“ beschrieben wurde, gibt es bisher kaum Bemühungen, die literarischen Verhandlungen des Exils 1933-1945 zu den gegenwärtigen Auseinandersetzungen in Beziehung zu setzen. Indem die Untersuchung die im Exil entstandenen kosmopolitischen Identitäts- und Gemeinschaftsentwürfe in einen Dialog mit Konzepten eines ,Neuen Kosmopolitismus‘ treten lässt, verfolgt sie zum einen das Ziel, das kosmopolitische Paradigma für die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung fruchtbar zu machen. Zum anderen verspricht sich das Projekt von der vergleichenden Analyse ausgewählter literarischer Texte innovative Erkenntnisse über das spezifische Verhältnis von Exil, Literatur und Kosmopolitismus.
- Betreuung: Prof. Dr. Doerte Bischoff
- Zuordnung/Förderung: Doktorandenkolleg Geisteswissenschaften
- E-Mail: sandra.narloch"AT"studium.uni-hamburg.de
Kristina Omelchenko: FamilienGeschichte transnational. Ost-westliche Erinnerungsräume in deutsch- und russischsprachiger Gegenwartsliteratur
Das Dissertationsprojekt widmet sich der parallelen Betrachtung deutsch- und russischsprachiger Familienromane des 21. Jahrhunderts. Den Forschungsschwerpunkt bilden Narrationen des kollektiven (vor allem Familien-) Gedächtnisses, das private Geschichten mit historischen Ereignissen des 20. Jahrhunderts verflicht. Ein besonderer Fokus liegt auf den Begegnungen und Transfers zwischen Ost- und Westeuropa, die in allen behandelten Romanen dargestellt werden und sie dadurch zur transnationalen Literatur einordnen lassen.
Familie als Kernbegriff des Projekts wird als ein spezifisches Konzept aufgefasst, das eine mehrfache Perspektivierung der Fragen von Identität, Zugehörigkeit, sowie Grenzen im breiten Sinne erlaubt. Die Schauplätze der betrachteten Familienromane sind geographisch zwischen Ost- und Westeuropa angesiedelt, womit sie über nationale Grenzen hinausweisen. Die behandelten Texte bewegen sich einerseits in einem gemeinsamen Kontext der europäischen Geschichte mit ihren Weltkriegen und Katastrophen, andererseits in einer polarisierten Welt, im Spannungsfeld zwischen Kapitalismus und Sozialismus, Demokratie und Diktatur.
Literaturwissenschaftlich untersucht werden vor allem Schnittstellen und Korrespondenzen in Motiven, Topoi und Ästhetiken des Erzählens in den russisch- und deutschsprachigen Texten. Zentrale Hypothese der Arbeit ist, dass transnationales Erinnern und Erzählen bestimmte gemeinsame Muster herausbilden, die national geprägte Erinnerungsnarrative herausfordern bzw. transformieren. Gleichzeitig wird im Rahmen des Projekts die sozialhistorische Spezifik der Texte berücksichtigt und hervorgehoben. In diesem Sinne wird etwa den Fragen nachgegangen, ob und ggf. wie sich die Ausprägung von Transnationalität im westeuropäischen und postsowjetischen Raum unterscheidet, ob sich im westeuropäischen Kulturdiskurs etablierte (post-)koloniale Theorien auf den (post-)sozialistischen Raum anwenden lassen, und nicht zuletzt, wie transnationale Literatur in beiden Räumen von der Literaturkritik rezipiert und wissenschaftlich erforscht wird.
- Betreuung: Prof. Dr. Doerte Bischoff / Prof. Dr. Anja Tippner
- Zuordnung/Förderung: Doktorandenkolleg Geisteswissenschaften, Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES)
- E-Mail: kristina.omelchenko"AT"studium.uni-hamburg.de
Jana Schulze: Interexilische Korrespondenzen und imaginierte Kollektive. Transnationale, transkulturelle und transhistorische Vernetzungen (in) der Exilliteratur
Das Dissertationsprojekt untersucht literarische Texte des Exils 1933 bis 1945, der Zwischenzeit und Gegenwart, die auf historische oder zeitgenössische Exilerfahrungen, deren Literarisierungen sowie Schriften implizit wie explizit Bezug nehmen. Obwohl von der Singularität einer jeden Exilerfahrung auszugehen ist, finden sich in Texten des Exils wiederholt Anspielungen, Zitate oder Adaptionen, die andere Exilsituationen, deren Literaturen sowie Autor*innen erinnern und aktualisieren.
Forschungsleitend ist die These, dass der Dialog zwischen den Exiltexten im Sinne vernetzter Geschichte(n) als Impulsgeber einer Globalisierung der Literatur und Phänomen transnationaler, transkultureller sowie transhistorischer Erinnerung lesbar ist. Die intertextuellen Rekurse sensibilisieren für ein Gedächtnis der Exilliteratur, intermediale Arrangements bilden darüber hinaus die Kommunikation mit anderen Künsten ab. Diesen Beobachtungen zu einem Nach-Leben des Exils schließt sich die Frage an, inwiefern die referenziellen Verbindungen imaginierte Erfahrungs-, Erzähl- und Erinnerungsgemeinschaften stiften. Sind die Bezugnahmen als Strategien denkbar, der Sprach- und Orientierungslosigkeit angesichts unmittelbarer Flucht begegnen sowie die traumatisch bedingten Leerstellen der Exilerfahrung dennoch erinnern und erzählen zu können?
Ein zentrales Anliegen dieser Studie ist es, den für diese Vernetzung literarischer Texte des Exils vorgeschlagenen Begriff der ‚interexilischen Korrespondenzen‘ (Alfrun Kliems) zu präzisieren und im wissenschaftlichen Diskurs zu verankern. Entsprechend ist die Analyse für kulturwissenschaftliche Perspektiven der jüngsten Exil(literatur)forschung sowie die Neukonzeptualisierung eines Nationalliteraturen und Epochen übergreifenden Terminus ‚Exilliteratur‘ von besonderer Relevanz.
- Betreuung: Prof. Dr. Doerte Bischoff
- Zuordnung: seit Oktober 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Walter A. Berendsohn Forschungsstelle für deutsche Exilliteratur (Leitung: Prof. Dr. Doerte Bischoff), Institut für Germanistik / Universität Hamburg
- E-Mail: jana.schulze@uni-hamburg.de
Sarah Steidl: Fluchtdialoge. Gespräche über Grenz- und Entortungserfahrungen in deutschsprachigen Romanen des frühen 21. Jahrhunderts
Die deutschsprachige Gegenwartsliteratur nimmt die aktuellen Dramen um Flucht inner- und außerhalb Europas sowie die politischen Debatten um Teilhabe der Geflüchteten an der westeuropäischen Gesellschaft seismografisch auf. Neben einer Vielzahl von Autorinnen und Autoren, die Grenz- und Entortungserfahrungen im Modus der Autofiktion und entlang von Einzelschicksalen nachspüren und damit auf die emotionale Affizierung ihrer Leserinnen und Leser setzen, machen einige andere Schreibende ihre Texte zur (politischen) Bühne disparater Weltanschauungen, indem sie ihre Romane dialogisch strukturieren. Das sich in Arbeit befindliche Promotionsprojekt setzt es sich zur Aufgabe, ebensolche Gesprächsfiktionen zu analysieren. Die für das Korpus ausgewählten Prosatexte zeugen von einem gesteigerten Dialogbedürfnis in flüchtigen Zeiten. So werden an den Themenkomplex Flucht und Vertreibung Diskussionen um schwindende Gewissheiten und porös gewordene gesellschaftlich-politische sowie kulturelle Traditionen und Normen geknüpft. Mit den kommunikativen beziehungsweise narrativen Settings der Texte, mit dem inszenierten Dialog von Vertreterinnen und Vertretern der aufnehmenden Gesellschaft mit Geflüchteten, rücken ethisch-moralische Fragestellungen ins Zentrum des Projekts: Wer spricht für wen? Welche Redeanteile lassen sich in den Texten ausmachen? Wer oder was dominiert die jeweilige Gesprächskultur? Mit ihren Dialogkonfigurationen wählen Schriftstellerinnen und Schriftsteller einen ästhetischen Argumentationsmodus, der Flucht in überindividueller Reichweite – und somit in transhistorischer wie auch in transnationaler Perspektive – beleuchtet. Vor diesem Hintergrund setzt das Projekt es sich zum Ziel, die Bedeutung von Literatur als Vermittlungsinstanz auszuloten: Was erzählen die Erzähltexte über die Gegenwart, welche Zeit- und Zukunftsdiagnosen werden über die Fluchtdialoge vermittelt? Und: Wird der Dialog in den Texten im Sinne seines maieutisch-philosophischen Ursprungs als Beförderer von Erkenntnis funktionalisiert oder verliert er womöglich seine Konnotation als ‚Lösungsbringer‘? Methoden und Theorien der Literaturwissenschaft werden zur Klärung ebendieser Fragen um philosophische Denkansätze zum Anderen (von Judith Butler, Michel Foucault, Paul Ricœur, Jacques Derrida und Emmanuel Lévinas) ergänzt. Die Ergebnisse des Projekts sind damit nicht nur von philologischem Interesse, sondern besitzen interdisziplinäre Relevanz.
Betreuung: Prof. Dr. Ortrud Gutjahr und Prof. Dr. Doerte Bischoff
Zuordnung/Förderung: Doktorandenkolleg Geisteswissenschaften
E-Mail: sarahsteidl"AT"hotmail.de
Carla Swiderski: Das Menschliche spiegelt sich im Blick der Tiere. Auflösung und Neudefinition des Menschen in der Exilliteratur
Wenn von Exil gesprochen wird, ist eine Extremsituation gemeint, die eine unfreiwillige Emigration nach einer existenziellen Bedrohung und einem gesellschaftlichen Ausschluss bezeichnet. Doch trifft der gesellschaftliche Ausschluss die meisten Exilierten nicht erst im Exil. Schon zuvor wurden sie zumeist auf sprachlicher, gesellschaftlicher und rechtlicher Ebene ausgegrenzt. Im NS-Staat wurde die verbale Diffamierung und öffentliche Diskriminierung der Verfolgten vor allem durch eine gezielte Analogisierung mit Tieren vollzogen, kombiniert mit bakteriologischer und rassistischer Terminologie. Wie reagierten die im Exil lebenden Schriftstellerinnen und Schriftsteller in ihren Texten auf die Situation, dass sie in einer Sprache denken und schreiben, die dazu benutzt wurde, ihnen ihr Menschsein abzusprechen? Welche Auswirkungen haben die erlebte Diskriminierung und der gesellschaftliche Ausschluss auf das Selbstverständnis der Exilierten als Menschen? Werden gesellschaftliche Machtverhältnisse reflektiert sowie das Konzept der Mensch-Tier-Dichotomie als Teil dessen hinterfragt? Gibt es eine Kritik an der Gesellschaft, die zu alternativen Entwürfen führt? Von diesen Fragen geleitet wird in diesem Dissertationsprojekt die Konstruktion von ‚Mensch‘ und ‚Menschlichkeit‘ sowie die direkt damit verbundene Verhandlung des Mensch-Tier-Verhältnisses in deutschsprachigen literarischen und philosophischen Exiltexten untersucht, die Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden sind.
- Betreuung: Prof. Dr. Doerte Bischoff
- Zuordnung/Förderung: Doktorandenkolleg Geisteswissenschaften, Friedrich-Ebert-Stiftung
- E-Mail: carla.swiderski"AT"studium.uni-hamburg.de
Xin Tong: Transmedia Remembering: Fallstudie des Shanghaier Exils in Deutschland und China seit 1989
Das interdisziplinäre Dissertationsprojekt wirft den Blick auf die Erinnerungskulturen in den heutzutage immer wieder neuen Medienkonstellationen, wobei systematische und fortlaufende Transformation von medialen Bearbeitungen der Vergangenheit entsteht. Um den medialen Umgang mit Erinnerung in einer avancierten Medienkultur näher zu betrachten, versucht die Arbeit die Erinnerungskulturen aus einer prozessorientierten Perspektive zu begreifen. In Analogie des medientheoretischen Ansatzes von „transmedia storytelling“ von Henry Jenkins wird das Konzept von „transmedia remembering“ entwickelt. Das beschreibt die mediatisierten Kommunikations- und Übermittelungsprozesse von Geschichte und Gedächtnis, die sich unter drei Formen bzw. Phasen von „Transmilieu“, „Transmedia“ und „Transmission“ unterscheiden. Aus dieser Sichtweise wird das Shanghaier Exil, wo die jüdischen Flüchtlinge als Verfolgte im Nationalsozialismus Zuflucht fanden, als ein Beispiel der transmedialen und transnationalen Erinnerungskulturen verhandelt. Dabei sind die vielfältigen literarischen, filmischen, musealen, theatralen, künstlerischen und digitalen Erinnerungsarbeiten zum Thema des Shanghaier Exils, die seit den 1990er Jahren in Deutschland und China entstehen, die Forschungsgegenstände der Fallstudie. Forschungsleitend sind die Fragen, wie solche mediatisierten Arbeiten einerseits jeweils die Geschichte des Shanghaier Exils darstellen und ihre medienspezifischen Beiträge zur Rekonstruktion der Vergangenheit und zur Bildung der Identitäten leisten, und wie sie sich andererseits miteinander überkreuzen, medienübergreifend konvergieren und zusammenwirken. Zudem werden die Erinnerungskulturen des Shanghaier Exils in Deutschland und China auch komparatistisch reflektiert, wie sie durch unterschiedliche politische, kulturelle, soziale und menschliche Akteure geprägt sind und gleichzeitig im dynamischen und multidirektionalen Wechselverhältnis stehen.
- Betreuung: Prof. Dr. Thomas Weber / Prof. Dr. Doerte Bischoff
- Zuordnung/Förderung: Graduiertenkolleg Vergegenwärtigungen (Kollegiatin)
- E-Mail: tongxin.flora@gmail.com
Philipp Wulf: Das Komische im Nach-Exil bei Alfred Polgar, Albert Drach und Georg Kreisler
Der in der Exilliteraturforschung heute geläufige weite Exilbegriff, der nicht mehr nur die Texte von den aus Nazideutschland exilierten SchriftstellerInnen aus der Zeit zwischen 1933 bis 1945 umfasst, vermag es, bisher randständige AutorInnen in den Mittelpunkt des Interesses des Forschungszweigs zu rücken. Solche Texte, die die wiederbereiste Heimat als entfremdete oder verlorene behandeln, die somit die Erfahrung von Heimatverlust als definitiv beschreiben, markieren das Nach-Exil als ihren geografisch unspezifischen Entstehungsort. Eine Strategie zur literarischen Auseinandersetzung mit Entwurzelung sowie zur Entgegnung auf antisemitische Kontinuitäten stellt die Komik dar, derer sich in ihren Schreibweisen auf je verschiedene Art die drei österreichischen jüdischen Autoren Alfred Polgar, Albert Drach und Georg Kreisler bedienen. Ihr sonst heterogenes Werk, das von der Exilforschung erst noch erschlossen werden muss, weist ihren gemeinsamen Geburtsort Wien immer wieder als entfremdeten aus. In den äußerst verschiedenen Komiken der drei Autoren manifestiert sich zudem die generelle Problematik einer stringenten Komiktheorie, die mit Rekurs auf die Tradition des jüdischen Witzes, und unter Berücksichtigung der spezifischen historischen Situation diskutiert wird. Das Ziel der Forschungsarbeit besteht damit in der Erschließung der ästhetischen Strategie Komik vor ihrem (individual-)historischen Hintergrund des (Nach-)Exils.
- Betreuung: Prof. Dr. Doerte Bischoff
- Förderung: Landesgraduiertenförderung / Studienstiftung des deutschen Volkes
- E-Mail: philippjwulf"AT"gmail.com
Abgeschlossene Promotionsprojekte
Für bereits abgeschlossene Promotionsprojekte, die in den letzten Jahren im Umfeld der Forschungsstelle entstanden sind, wird hier die entsprechende Publikation nachgewiesen.
Anne Benteler: Sprache im Exil. Mehrsprachigkeit und Übersetzung bei Hilde Domin, Mascha Kaléko und Werner Lansburgh. Stuttgart: Metzler 2019
Die Monographie untersucht Sprachkonstellationen in der Literatur des Exils aus NS-Deutschland seit 1933. Im Fokus stehen mehrsprachige Texte von Hilde Domin, Mascha Kaléko und Werner Lansburgh. Die Kombination eines kulturwissenschaftlich geprägten Übersetzungsbegriffs mit Ergebnissen linguistischer Mehrsprachigkeitsforschung macht zwei höchst aktuelle Wissenschaftsdiskurse für die Analyse von literarischen Textphänomenen produktiv. Die Untersuchung erweist, dass die Texte Domins, Kalékos und Lansburghs durch Sprachreflexion, Code-Switchings und Sprachmischungen bestimmt sind. Die Vorstellung einer monolingualen Literatursprache und Nationalliteratur wird dadurch infrage gestellt und es zeigt sich, dass die meist biografisch argumentierenden Vorstellungen von Sprachbewahrung und Sprachverlust im Exil durch alternative Entwürfe von Exilliteratur als translingualem und translationalem Reflexionsraum zu ergänzen sind.
Sonja Dickow: Konfigurationen des (Zu-)Hauses. Diaspora-Narrative und Transnationalität in jüdischen Literaturen der Gegenwart. Stuttgart: Metzler 2019
Die komparatistische Studie arbeitet anhand von Parallellektüren deutsch-, englisch- und hebräischsprachiger Gegenwartstexte den Befund heraus, dass gerade an der Konfiguration des immobilen Hauses Mehrfachverortung und Grenzüberschreitung verhandelt werden. Das Zuhause verliert durch die Zerstörungen der Shoah und die Exilerfahrungen der jüdischen Figuren seine Funktion als Heimat und Ort der Stabilität und Kontinuität. Erinnerndes Erzählen und Traditionen des diasporischen Schreibens werden dagegen als Orte der Zugehörigkeit diskutiert. Der in der mehrsprachigen jüdischen Literaturgeschichte ohnehin angelegte Transnationalitätsdiskurs wird in Untersuchungen zu Nicole Krauss und Anna Mitgutsch, Jenny Erpenbeck und Eshkol Nevo, Michal Govrin und Barbara Honigmann aufgerufen.
Sebastian Schirrmeister: Begegnung auf fremder Erde. Verschränkungen deutsch- und hebräischsprachiger Literatur in Palästina/Israel nach 1933. Stuttgart: Metzler 2019
Deutschsprachige Literatur jüdischer Autor*innen in Palästina/Israel galt lange als Schwanengesang der ‚deutsch-jüdischen Symbiose‘. Begegnung auf fremder Erde nimmt eine neue Perspektive ein, sieht sie als Teil des „Jewish literary complex“ (Dan Miron) und fragt nach ihrer Beziehung zum hebräischen Literaturbetrieb. Basierend auf umfangreichen Archivrecherchen sucht die Studie drei deutsch-hebräische Konstellationen auf: in der Anthologie, in der Übersetzung und in der variantenreichen Erzählung der Einwanderung. Die untersuchten Texte (u.a. von Max Brod, M. Y. Ben-Gavriêl, Josef Kastein, Baruch Kurzweil und Amos Oz) erweisen sich dabei als durchaus kritische Auseinandersetzung mit dem „zionistischen Masternarrativ“ (Gershon Shaked) von der sozialen und kulturellen Erlösung des jüdischen Volkes im Gelobten Land.