Wer war Walter A. Berendsohn?
Der Literaturwissenschaftler Walter A. Berendsohn (1884-1984) gilt bis heute als Nestor der Sammlung und Erforschung deutschsprachiger Exilliteratur. Er war u. a. mit Willy Brandt und Nelly Sachs befreundet, die auf seine Initiative hin mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels sowie mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurden.
Anfänge in Hamburg
Berendsohn wurde am 10. September 1884 als Sohn assimilierter jüdischer Eltern in Hamburg geboren. Nachdem er zunächst eine kaufmännische Lehre absolviert hatte, studierte er Germanistik, Nordistik und Philosophie in Kiel, Berlin, München und Freiburg und promovierte 1912 über Lichtenbergs Aphorismen. Zurückgekehrt aus dem Ersten Weltkrieg, wurde er zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter und schließlich außerplanmäßiger Professor am Germanistischen Seminar der Universität Hamburg, das er durch seine humanistischen und republikanischen Ideale sowie sein Interesse an der skandinavischen Literatur prägte. Im Sommer 1933 gaben nicht nur seine jüdische Herkunft, sondern auch seine pazifistische Überzeugung sowie seine Mitgliedschaft in der Freimaurerloge und der SPD den NS-Behörden Anlass, ihn im Rahmen der „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ aus dem Universitätsdienst zu entlassen.
Im Exil
Berendsohn entschloss sich unmittelbar, mit seiner Familie ins Exil nach Dänemark zu gehen, wo es ihm jedoch nicht möglich war, eine feste Lehrtätigkeit aufzunehmen, sodass er die Familie durch gelegentliche Vorträge, Publikationen und Lehraufträge nur dürftig versorgen konnte. Nachdem Dänemark 1940 von Deutschland besetzt wurde, lebte Berendsohn zunächst illegal im Untergrund, bevor er im letzten Moment nach Schweden fliehen konnte. Trotz der schwierigen beruflichen Verhältnisse im Exil nahm Berendsohn in dieser Zeit eine Schlüsselposition in der Vernetzung der weltweit verteilten, aus Deutschland geflüchteten Intellektuellen ein, unterhielt umfangreiche Korrespondenzen und initiierte die Gründung eines Emigrantenzentrums in Kopenhagen, um den ständigen Austausch von Literatur und zwischen Literaten im Exil aufrechtzuerhalten. Im dänischen Exil entstand auch sein zentrales Werk zur deutschen Exilliteratur Die Humanistische Front, dessen erster Teil Einführung in die Deutsche Emigranten-Literatur von 1933 bis zum Kriegsausbruch im Jahr 1947 in der Schweiz erschien. Der zweite Teil Vom Kriegsausbruch 1939 bis Ende 1946 wurde erst 1976 verlegt. 1969 organisierte Berendsohn das Erste Internationale Symposium zur Erforschung der Exilliteratur, in dessen Nachgang sich eine Koordinationsstelle in Stockholm formierte und 1971 die Hamburger Arbeitsstelle für deutsche Exilliteratur gegründet wurde, allerdings ohne direkte Beteiligung Berendsohns.
Verhinderte Rückkehr
Während Berendsohn bei Kriegsende im Strindberg-Archiv in Stockholm tätig war, bemühte er sich, mit der Universität Hamburg in Verbindung zu treten, und reiste 1948 erstmals wieder für einen Gastvortrag nach Hamburg. Die anschließend von ihm eingeklagte Rechtsstellung als außerordentlicher Professor wurde unter Verweis auf ungenügende wissenschaftliche Qualifikation von der Stadt Hamburg abgelehnt, wobei das Gutachten sich auf Stellungnahmen früherer Kollegen und Konkurrenten stütze, die auch während des NS-Regimes universitäre Karriere machte. Erst 1953 wurde ihm seine Lehrbefugnis wieder zuerkannt, allerdings mit der Aufforderung, nicht von ihr Gebrauch zu machen. Trotz Berendsohns fortgesetzten Bemühungen und einem vom neuen Rektor der Universität Karl Schiller in Auftrag gegebenen zweiten Gutachten, welches Berendsohn höchste wissenschaftliche Kompetenz attestierte, erkannte die Universität ihn nicht als Professor an. Erst 1983 wurde dem inzwischen 98-Jährigen von der Universität Hamburg die Ehrendoktorwürde verliehen und das Unrecht und Versagen ihm gegenüber bekannt. Am 30. Januar 1984 starb Walter A. Berendsohn in Stockholm.
Späte Ehrung
2001 wurde die dreißig Jahre zuvor an der Universität Hamburg gegründete Arbeitsstelle für deutsche Exilliteratur nach ihm benannt, in deren Bibliothek und Archiv sich heute neben seinen Schriften auch eine Sammlung mit Archivalien zu Berendsohn und der Arbeit der Stockholmer Koordinationsstelle befindet.